«Tag der Wirtschaft» der economiesuisse

Nicolas G. Hayek verlangt nebst mehr Innovation grundlegende Reformen des Finanzsystems

Nicolas G. Hayek hielt im Rahmen des «Tages der Wirtschaft» der economiesuisse am 5. September 2008 in Baden (Schweiz) eine viel beachtete Rede. Die Originalversion ist die untenstehende deutsche Fassung. Übersetzungen in EnglischFranzösisch und in Italienisch sind vorhanden.

Verantwortung der Schweizer Unternehmer in einer globalisierten Welt

Sehr geehrte Damen und Herren

Der heutige Tag der Wirtschaft steht unter dem Motto «Innovation – eine unternehmerische Verpflichtung?». Meine Botschaft behandelt die Rolle und die Verpflichtung der Schweizer UnternehmerInnen in einer globalisierten Welt.

Selbstverständlich ist seine Verpflichtung in erster Linie Innovation. Aber Innovation ist ein sehr breit gefächerter Begriff, wie wir sehen werden, und erfordert ein intaktes, gutes Umfeld, damit der Unternehmer die Früchte des Wohlstandes überhaupt erwirtschaften kann. Was ist eigentlich ein Unternehmer?

1. Ein Unternehmer ist für mich nicht, wie viele glauben, der Inhaber einer Firma. Nein. Ein Unternehmer gilt für mich als solcher, wenn seine Geisteshaltung, seine Mentalität alle unternehmerischen Eigenschaften umfasst. Eine unternehmerische Mentalität kann jeder von uns haben, sei er nun Landwirt oder Journalist, Schreiner oder Anwalt, Milchmann oder Bundesbeamter, Bankier oder Maler (Picasso war ein Unternehmer), Professor oder Student – und selbstverständlich auch ein Industrieller.

In erster Linie ist der Unternehmer ein Künstler voller Fantasie und Innovationsgeist, kommunikationsfähig, offen für alle Ideen, fähig, alles in Frage zu stellen – sowohl unsere Gesellschaft als sich selbst – gefesselt von der Schönheit und sehr sensibel im Bezug auf das Schicksal unseres Planeten. Diese Geisteshaltung erlaubt ihm nicht nur, neue Produkte und neue Arbeitsplätze zu schaffen, das heisst echte Werte und Reichtümer für uns alle. Sie ist auch absolut notwendig, um mit Fantasie und Mut alle Hindernisse zu überwinden.

Die einzigen Hindernisse, die in der Tat nicht zu überwinden sind und die man auch nicht vermeiden kann, sind Tod und Steuer.

Der Unternehmer muss auch fähig sein, unsere Gesellschaft, unsere Regeln und Gewohnheiten in Frage zu stellen, er muss ein Rebell sein, ohne Feind zu werden, und gleichzeitig eine grosse Liebe für eine sehr verführerische Gesellschaft entfalten, eine Gesellschaft, die trotz ihrer Fehler und Missstände, die wir mit menschlicher Wärme korrigieren sollten, liebenswert ist.

Ein solcher Mensch – voller Innovation, Fantasie und Sensibilität – ist jeder von uns hier im Saal und jeder von uns in der Welt, und zwar vom Tag unserer Geburt an. Ich behaupte tatsächlich dass wir bei der Geburt alle diese Qualitäten in unseren Genen mitbekommen haben. Erinnern Sie sich, als Sie sechs Jahre alt waren. Wir haben im Sand gespielt, mit Freude Schlösser, Sandburgen gebaut, unser Einfallsreichtum war grenzenlos, wir glaubten an eine ganze Menge schöner Legenden, an wundersam hübsche Prinzessinnen und Märchenkönige, an den Weihnachtsmann.

Diejenigen, die sich nicht dagegen zur Wehr setzen, keinen Widerstand geleistet haben und die Gesellschaft kritiklos akzeptierten, haben diese Eigenschaften zum Teil verloren. Die Gesellschaft, die Schule, die Armee, die Ausbildung, der Arbeitsplatz, sorgen dafür, dass viele unter uns diese Fantasie, diesen Innovationsgeist, diese Kreativität und die gesunde kritische Haltung der Gesellschaft gegenüber verloren haben. Deshalb predige ich seit Jahren allen meinen Kollegen, Mitarbeitenden und Freunden, dass sie alle sich die Fantasie ihrer sechs Jahre ein Leben lang bewahren sollten.

Etwas, was ich bei der Gründung meiner ersten Firma und danach bei jeder weiteren neuen Firmen getan habe, ist folgendes: Ich nehme verschiedene Mitarbeitende hauptsächlich aus der Produktentwicklung zu einem Gespräch zusammen. Ich überzeuge sie von ihrer ausserordentlichen Fähigkeit, Kreativität zu entwickeln, ich wecke ihre Innovationskraft, ihre vielleicht schlafende Fantasie und ermuntere sie, sich ungewöhnliche Ziele zu setzen und unerwartete Richtungen einzuschlagen. Auch mit renommierten Forschungsinstituten suche ich neue, ungewöhnliche Wege, um fast unmögliche Ziele und Produkte zu erreichen. Der Physiker – ständig konfrontiert mit den kleinsten unsichtbaren Teilchen und Prozessen, mit dem Milliarden Lichtjahre entfernten mysteriösen gigantischen Universum – kann die Fähigkeit entwickeln, noch immer an Wunder und den Weihnachtsmann zu glauben oder sie zumindest nicht einfach kompromisslos auszuschliessen, und das, obwohl seine technische Ausbildung so etwas nicht unbedingt fördert. Er war und ist deshalb seit jeher mein privilegierter Innovationspartner.

Nachdem ich die Führung von Breguet übernommen hatte, veranstaltete ich mit rund 35 Uhrmachern, Ingenieuren und Produktentwicklern ein Brainstorming. Am Tagesende hatten wir zusammen über vierzig echte Ideen entwickelt, nicht neue Designs, optisch neue Modelle oder neue Farben, nein! Es waren technische Neuheiten, echte Neuheiten! Seit ein paar Jahren arbeiten wir an deren Umsetzung. Dies alles bereitet mir ein immenses Glücksgefühl; nicht so sehr, weil ich mich als besonders innovativ fühle, sondern weil ich sehe, dass meine Mitarbeitenden sich entfalten – manche sind innovativer als ich! Aber das ist fürwahr nicht alles.

2. Der Unternehmer muss auch risikofähig und ein mutiger Realisator sein, schnell und konsequent. Sobald die Ideen einmal kreiert sind und eine Entscheidung darüber gefallen ist, müssen sie schnell in die Tat umgesetzt werden. Realisieren ist der schwierigste Teil der Kreativität. Mein Leben lang hörte ich immer wieder den Ratschlag «tu das nicht, das geht schief» Bei der Umsetzung muss der Unternehmer die meisten Hindernisse, sowohl menschliche wie materielle, überwinden und insbesondere in dieser Phase einen für alle seine Mitarbeitenden ansteckenden Dynamismus und Vitalität entfalten.

3. Er muss auch bereit sein, den Menschen und der gesamten Gesellschaft zu dienen. Und ich meine wirklich dienen. Er muss fähig sein, sich aufrichtig darüber zu freuen, wenn die Leute um ihn herum glücklich sind, weil er etwas dafür getan hat. Er hat die Aufgabe, neue Arbeitsplätze, Reichtümer, echte Werte zu schaffen oder dabei mitzuhelfen, und zwar sowohl materielle wie auch moralische und intellektuelle Werte. Er ist Mitarchitekt des Wohlstandes und des sozialen Fortschrittes vieler, am liebsten aller, wenn das denn möglich wäre.

4. Unser Unternehmer muss helfen, im Rahmen seiner Möglichkeiten, mit allen seinen Ressourcen unsere Umwelt zu verbessern. Er realisiert, dass er als Passagier auf dem «Raumschiff Erde» mithelfen muss, dieses Raumschiff voll navigationsfähig zu halten.

5. Es darf nicht seine Strategie sein, den schnellen oder gar sofortigen maximalen Finanzgewinn zu erwirtschaften, sondern seine Strategie muss die langfristige, nachhaltige Entwicklung sein: zum Beispiel Investitionen in die Ausbildung, die Forschung und Entwicklung und die Produktion, um die Zukunft zu sichern, auch wenn damit kurzfristig die Finanzergebnisse geschmälert werden.

6. Für seine Mitarbeitenden und Kollegen muss er auch Motivator und Vorbild sein. Das Ehrgefühl ist dabei eines seiner ausgeprägten Merkmale. Er darf seine Macht nicht missbrauchen und seine Motivationsfähigkeit damit denaturieren. Dazu gehört auch die Bescheidenheit. Bescheiden deshalb, weil er nie vergisst, dass er egal wie mächtig er auch scheinen mag, nur ein winziges kleines Wesen auf dem klitzekleinen Planeten (oder eben Raumschiff) Erde in einem riesigen Universum ist. Er hat auch die Fähigkeit, Menschen zusammen zu bringen und sie zu fördern, dabei muss er so gerecht wie nur möglich sein. Seine Mission ist es, den Menschen um sich herum eine Atmosphäre, eine Mentalität der menschlichen Wärme und Optimismus zu vermitteln, eine Ambiance, die allen Mitarbeitenden Mut gibt, in einer Gesellschaft, in der sich heute viele isoliert, ohne solide Wurzeln fühlen.

7. Last but not least gehören Leidenschaft, Begeisterung und Liebe zu seiner Arbeit und alles, was damit zu tun hat, zu seinen wichtigsten Gefühlseigenschaften. Er empfindet sein Wirken nicht als Arbeit, er amüsiert sich. Hat er keine Freude daran, wird er kaum eine Chance haben, ein guter und erfolgreicher Unternehmer zu sein.

Alle diese wichtigen Qualitäten (und einige andere weniger wichtige noch dazu) machen einen guten, erfolgreichen Unternehmer aus. Wie Sie sehen, können Menschen mit dieser Geisteshaltung die verschiedensten Berufe und Funktionen ausüben, seien sie nun Besitzer eines Unternehmens oder nicht.

Einige werden diese Ansammlung höchst positiver Eigenschaften als Idealbild, als utopisch oder unrealistisch bezeichnen. Aber eine ganze Reihe solcher Menschen haben die moderne Schweiz mitgestaltet und viele – wenn auch nicht genug – sind im Moment in diesem Land aktiv.

Am 12. September 1997, vor elf Jahren, hatte ich die Ehre und das Vergnügen, in Zürich an der damaligen Generalversammlung des Vorortes, heute economiesuisse, die für mich wichtige Botschaft über die Rolle des Unternehmers in der Schweiz zu vermitteln. In einer wunderbaren Schweiz, die damals dennoch mit einigen Verunsicherungen und moralischen Krisen zu kämpfen hatte. In der Zwischenzeit hat sich die Welt massiv und grundlegend geändert, aber leider nicht etwa verbessert, sondern sie hat sich total neu gestaltet:

  • Durch bahnbrechende technische Verbesserungen in der Kommunikation, insbesondere durch das Internet, ist jedes Ereignis, jede Idee, jedes Bild sekundenschnell überall auf unserem Planeten verfügbar; unsere Welt ist damit viel kleiner und die Globalisierung viel breiter geworden;
  • Anfangs des 21. Jahrhunderts wurden wir mit Horror Zeuge von kriegerischen, mörderischen Attentaten, die von Terroristen im Herzen der USA, in New York und Washington D.C., begangen wurden – das gab es noch nie in der Geschichte Amerikas. Danach wussten wir, dass die Welt nie mehr die gleiche sein würde.
  • Wir beobachteten eine Verhärtung in der Menschenrechtsfrage, gar ein Mangel an Respekt für die Menschenrechte durch traditionell echt demokratische Länder;
  • Kriege brachen aus in Afghanistan, im Irak und in anderen Teilen der Welt, auch Kriege gegen Terrorismus weltweit;
  • Gleichzeitig erlebten wir den atemberaubend steilen Aufstieg fernöstlicher Länder wie China, Indien, Singapur, Korea und unter anderen auch Russlands zu globalen Wirtschaftsmächten;
  • Wir sahen auch eine kräftige Erhöhung des Reichtums und des wirtschaftlichen Einflusses vieler Erdöl-produzierender Länder;
  • Europa erfuhr eine massive Erweiterung seiner Mitgliederzahl durch zunächst zehn neue Länder – ohne Abstimmung und vermutlich gegen den Willen vieler ihrer nicht angefragten Völker, wie die späteren Abstimmungen in Frankreich, Holland und letztlich in Irland gezeigt haben, was die Glaubwürdigkeit Europas als vorbildliche Demokratie verglichen mit der kleinen Schweiz nicht gerade gestärkt hat;
  • Europa ist zurzeit gerade dabei oder hat es vielleicht schon geschafft, die USA vom ersten Platz der Wirtschaftsmächte zu verdrängen, wobei die USA jedoch in jedem Fall die Militärmacht Nr. 1 bleiben;
  • Die Schweiz musste den schmerzlichen Verlust ihrer nationalen Fluggesellschaft Swissair hinnehmen – ein Vorzeigeunternehmen aufgebaut durch Schweizer Pioniere und zu Grunde gerichtet durch den Mangel an Unternehmern an seiner Spitze;
  • Wir sehen uns nach wie vor mit immer grösseren Umweltproblemen konfrontiert, die heute im Bewusstsein der Menschen jedoch eine wesentlich stärkere Rolle spielen als damals;
  • und schliesslich komme ich zu der ersten grossen Finanzkrise, die wir am Anfang dieses 21. Jahrhunderts erleiden müssen. Sie bewirkt die Vernichtung von gigantischen Milliardenvermögen, ohne dass die reale Wirtschaft oder irgendein Industrieller Schuld daran hätte und immer noch ohne dass eine vernünftige Kontrolle über diesen Teil der Finanzwirtschaft, der von wenigen Menschen gestaltet und zelebriert wird, sichtbar wäre. 
    Im 20. Jahrhundert hatten wir acht substanzielle und vernichtende Finanzkrisen.

Innovation, ja! Aber Innovation in einem Umfeld, das Innovation fördert. Innovation, bei der Werte, die von der Real- und Produktionswirtschaft geschaffen werden, nicht regelmässig durch solche Krisen vernichtet werden können.

Die Finanzkrise

In der Schweiz haben wir eine starke Finanzwirtschaft, die in der Regel enorm erfolg- oder enorm verlustreich arbeitet.

Die Finanzwirtschaft in der Schweiz ist kein negativer Teil unserer Gesamtwirtschaft, im Gegenteil, sie war seit ihrer Gründung und bis Mitte des 20. Jahrhunderts und ist immer noch teilweise eine grossartige, unternehmerisch geführte Wirtschaft. Sie hat viel für das Wachstum der Schweiz geleistet – Bahnen, Gotthardtunnel, Infrastrukturen, Industrialisierung – und für uns alle grosse Vorteile und positive Entwicklungen gebracht, sofern sie sich schweizerischer Tugenden befleissigt und entsprechend sorgfältig, rücksichtsvoll und mit Anstand gearbeitet hat. Damit hat sich die Schweiz weltweit auch grosses Vertrauen erworben.

Gegen Mitte / Ende des letzten Jahrhunderts hat sich jedoch ein Grossteil der Schweizer Finanzwirtschaft leider immer stärker die angelsächsischen Börsen und Finanzmärkte kritiklos als Vorbild angeeignet, und in den letzten zehn Jahren hat sich diese Entwicklung sogar rasant beschleunigt. Diese ausgeprägte Börsen-, Finanz- und Geldmentalität unterdrückt die Unternehmerkultur der Industrie.

Geld ist für einen Unternehmer zwar ein wichtiges Arbeitsinstrument, aber seine Ziele sind, damit neue Werte, Arbeitsplätze, Produkte – eine gute Zukunft für alle zu schaffen. Die Börse hat hier eine eminent positive und volkswirtschaftlich wichtige Rolle zu spielen: Die Industrie, falls nötig, mit Geld zu versorgen. Die Börse ist damit eine starke Stütze des Industriewachstums. Im Gegensatz dazu hat die neue angelsächsische Börsenfinanzmentalität jedoch nur ein Ziel: Geld, Geld und nochmals Geld, so schnell, so viel wie möglich und um jeden Preis. Dieses Verhalten ist äusserst industrieschädigend.

Um Missverständnissen vorzubeugen – die angelsächsische Kultur und Mentalität hat unserer Welt eine überaus reichhaltige Vielfalt an äusserst positiven und tollen Entwicklungen auf den verschiedensten Gebieten gebracht – sei es in der Kunst, der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Elektronik und Informatik, der Physik, der Medizin, bei der Entstehung der Menschenrechts-Charta und der Verstärkung der Demokratie, um nur einige zu nennen. Aber diese leidige Finanzmentalität, die an den amerikanischen und teilweise auch an den englischen Börsen leider vorherrscht, mit ihren Unmengen von doppelzüngigen Governance-Akrobaten mit all ihren scheinheiligen Lippenbekenntnissen, all diese Finanzprediger, dieses Überangebot an Spekulanten, Hasardeuren, und geldgierigen Fonds-Akteuren, diese Pharisäer, die sogar nicht vorhandene Splitter in des anderen Auge sehen und des Balken im eigenen Auge nicht gewahr werden, sie alle helfen weder der Industrie, noch der gesamten Wirtschaft Amerikas oder gar der Welt.

Es sind glücklicherweise nur einige wenige, und doch sind es eine Spur zu viele Gauner und Betrüger an den sonst so stark regulierten puritanischen Börsen!

Mehrere Probleme beschäftigen heute speziell die Unternehmer der an der Börse kotierten Grossfirmen:

1. Destruktive Mitinhaber
Die neue massive Entwicklung anonymer Gruppierungen und Sammler gigantischer Liquiditäten rund um die globalen Fonds, die internationale Hedge-Funds, Finanzgesellschaften usw., die oft von Finanzmanagern – grösstenteils ohne unternehmerische Erfahrung – geleitet werden und sich nie ernsthaft für etwas anderes als für Geld engagiert haben, ist bedenklich, und für die Zukunft unseres globalen Wohlstandes gefährlich.

Wir haben in letzter Zeit viele Exzesse gesehen. Die Zeit reicht heute nicht aus, um auch über die Spekulation von Nahrungsmitteln und Rohstoffen zu diskutieren. Aber diese Fonds kaufen an der Börse zahlreiche Aktien von Industriebetrieben auf und gewinnen dadurch grossen Einfluss in den Firmen, vertreten aber vehement ihre eigenen kurzfristigen Interessen, manchmal im krassen Gegensatz zu denen des Unternehmens (in welches sie investiert haben), was zahlreiche Beispiele bezeugen. So zwingen sie zum Beispiel diese Firmen im Interesse einer sofortigen Cash-Ausschüttung dazu, ihre eigene Zukunft zu gefährden. Auch dies müsste geregelt werden. Wir werden auch nicht gezwungen, Wohnungen in unseren Wohnsiedlungen automatisch jedem, der sie kaufen will, zu verkaufen.
Kein einziger ausländischer Einwohner und Steuerzahler, egal wie gross, bekommt automatisch und gegen unseren Willen das Stimm- und Wahlrecht in unseren Gemeinden, Städten, Kantonen oder dem Bund. Aber genau das passiert heute in den börsenkotierten Firmen.

Es müsste eine Regelung ausgearbeitet werden, die den Kauf auf Investoren, die die Firma, ihre Produkte, ihre Ziele und Kultur kennen und bejahen, limitiert. Zu studieren wäre auch der Ansatz, dass bestimmte Aktienkäufe der Zustimmung der anderen Aktionäre bedürfen.

Zwar wird in dieser Richtung schon Verschiedenes reguliert, aber die letzten Entwicklungen in der Schweiz haben gezeigt, dass dies nicht viel hilft, da trotzdem grosse Aktienpakete verkauft werden – mit der gütigen Hilfe einiger ehrenwerten Finanzinstitute und in Umgehung dieser Gesetzgebung.

Die Verbesserung dieser dramatischen Situation muss rasch erfolgen, damit der systematischen Zerstörung der künftigen Entwicklung und Innovation Einhalt geboten wird. Die Kontrolle dieser Systeme wird nicht durch den Einbau von tausend neuen Kontrollmechanismen, Regulierungen und meterhohem Papierkram erreicht, denn alle Massnahmen sind nutzlos, wenn nicht eine grundlegende Reform mit echter unternehmerischer Kontrolle des Finanzmarktsystems durchgesetzt wird. Gerade in jenen Märkten, die nur durch Paragraphen, Publikationen, Vorschriften und Regulationen am meisten kontrolliert werden, herrscht heute eine Transparenz, in deren Namen die allergrössten Exzesse und Fehler gemacht werden und viel Unerlaubtes und Schädliches produziert wird, ganz abgesehen von den unnötigen, tonnenweise produzierten Papierbergen.

Jahresberichte und Publikationen
Um einen Gesetzes- und Börsen-konformen Jahresbericht und offizielle Informationen zu publizieren, braucht es unzählige Mitarbeitende, Anwälte, Revisoren, die sich alle lange Zeit damit beschäftigen und all diese Vorschriften einhalten müssen.
Paragrafen, Paragrafen, Paragrafen… Regulierungen, Vorschriften und Papier, Papier, Papier – Tonnen von Papier. 
Wenn die Archäologen im Jahr 5000 über unseren bis dahin verschwundenen Fabriken Grabungen vornehmen werden, so werden sie überzeugt sein, dass hier früher nur riesige Papierfabriken gestanden haben.

Das alles kostet nicht nur viel Papier, sondern es verschleudert auch enorm viel Zeit und Geld.

2. Transparenz und Datenschutz
Die an der Börse kotierten Unternehmen müssen ihre Umsätze und Ergebnisse mit vielen, vielen Details, aufgeteilt nach Produkt und nach Ländern publizieren. Diese Daten dienen der Konkurrenz im In- und Ausland, die selber keine einzige Zahl publizieren, mehr als dem Aktionär selber. Hier müsste man eine Lösung finden, um Daten, die dem Unternehmen schaden könnten, wenn man sie publiziert, nicht überall zu veröffentlichen, sondern zum Beispiel einer speziellen Aktionärskommission zu zeigen.

Können Sie sich erinnern, dass sich in Italien vor wenigen Monaten, im April 2008, ein riesiger Lärm entfachte, weil die Liste der Einkommen und Steuern praktisch aller Italiener im Internet publiziert worden war – eine Liste, die wohlverstanden auf Antrag offen einzusehen erlaubt ist. Der Aufruhr war gross um die «illegale Veröffentlichung», es sei ein Skandal, es musste sofort alles gelöscht werden, der Datenschutzbeauftragte wurde auf den Plan gerufen, ein Aufschrei ging durch ganz Italien.

Und wir Unternehmer, die wir einen wichtigen Teil des Wohlstandes erst ermöglichen, wir sitzen da – hilflos, widerstandslos, reaktionslos, resigniert – wenn frisch-fröhlich sämtliche Unterlagen über Gehalt, Gewinnbeteiligung, Gratifikation, Stock-Options und weitere Informationen nicht nur vom obersten Chef der Firma, sondern von einer ganzen Reihe von Führungskadern publiziert werden.

Wie würden Sie sich fühlen, als Unternehmer, wenn Ihnen fast wie einem Plünderer vorgeworfen wird, dass Sie sich sozusagen parasitär bereichern, weil Sie hundert oder zweihundert Mal mehr verdienen als der tiefste Lohnempfänger Ihrer Firma, dem Sie notabene eine Arbeitsstelle ermöglicht haben? Andererseits werden Ronaldo oder Beckham, die tausend Mal mehr verdienen als ein Fussballanfänger, als Helden gefeiert.

Es ist absolut richtig, dass einige Firmenchefs in der Schweiz mit ihren überrissenen Gehältern, ihren exorbitanten Zusatz-Boni und Stock-Options massiv übertrieben haben, aber diese machen nicht einmal ein Promill der gesamten Unternehmerschaft aus. Über die zig-tausend bescheidenen, vernünftigen Chefs wird kein Wort verloren. Wir sagen mit Recht, der Aktionär muss wissen, wie viel Gehalt den Führungskräften ‘seiner Firma’ bezahlt wird. Statt es jedoch in allen Zeitungen zu publizieren und am Radio und Fernsehen zu kommentieren – manchmal nicht ohne eine gewisse Häme – könnte eine Aktionärsdelegation der Generalversammlung diese Unterlagen jederzeit besichtigen und ihre Meinung dazu zuhanden der Generalversammlung abgeben. Eine grossflächige Publikation schadet nur dem Unternehmen und seinen Mitarbeitenden und hilft keineswegs, Missstände zu beheben, im Gegenteil, sie wuchern anderswo:

  • Wie reagieren Sie, wenn zahlreiche Leute, auch Ihre Nachbarn, Freunde, Bekannte, solchen Aussagen mit Neid begegnen? Wenn Ihre Kinder in der Schule von anderen Kindern auf das Salär ihrer Mutter oder ihres Vaters angesprochen werden? Wenn Sie regelmässig Bettelbriefe erhalten, wie zum Beispiel von dieser Frau und ihrem Freund – Doppelverdiener – die sich von Ihnen wünschen, dass Sie die Zahnersatzrechnung des Freundes begleichen, weil sonst das Paar dieses Jahr seine – nicht unbedingt billige – Ferienreise ins Ausland nicht antreten kann? Oder wie der Brief jenes jungen Mannes, der noch nie in der Karibik war mit seinen Eltern und dort mit der Familie auf Ihre Kosten ein sabbatisches Jahr verbringen möchte?
  • Wenn Sie jahraus, jahrein dort wo es nötig ist, substanzielle Hilfe leisten und sich dann mit einer solchen Geisteshaltung und solcher Korrespondenz konfrontiert sehen, arbeiten sie doch lieber in einem Unternehmen, das keine solche Zahlen publizieren muss – oder nicht? Die Konkurrenz, sei es in China, Indien, in der Schweiz oder in einem anderen Industrieland, die nicht an der Börse kotiert ist, empfängt sie mit offenen Armen.

Die Transparenz von Gehältern und anderen Daten kann jederzeit garantiert werden, auch wenn die Zahlen nicht in allen Medien veröffentlicht und von jedem und allen kommentiert werden. Um diese Transparenz zu gewährleisten, ist auch hier die Lösung, einem Ausschusskomitee der Aktionäre Einblick in diese Unterlagen zu gewähren.

3. Analysen und Empfehlungen von Wyoming bis Zürich
Selbstverständlich gibt es ganz begabte Analysten, die an der Börse sowohl in New York, London wie auch in Zürich tätig sind und nicht unter «Hormonschüben» leiden wie eine Zeitung schreibt. Es gibt aber auch einige wenige Analysten, die weniger begabt sind, die nur das Sofortige sehen – und auch das nicht einmal immer richtig – und sich keine Vorstellung von künftigen Möglichkeiten machen können oder wollen. Der Beruf eines Analysten ist ein schöner, aber kein geschützter Beruf. Eine offizielle Legitimierung des Berufes Finanz- oder Börsenanalyst ist nicht erforderlich, um den Beruf auszuüben. Die Ausbildung zu diesem Beruf müsste ebenfalls unternehmerische Komponenten beinhalten und die Banken sollten die Berufsdefinition nicht allein bestimmen.

Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte und verschiedenste Artikel aus renommierten Zeitungen zeigen, dass die Treffsicherheit der Schätzungen einiger Finanzanalysten eher noch etwas schwächer ist als jene eines Wahrsagers, der seine Kristallkugel zu Hilfe nimmt, und das beschäftigt uns in der Schweiz massiv! Wenn in Oklahoma oder Wyoming zum Beispiel das Wachstum der Grashalme im Garten des Governors die ‘heiligen’ Erwartungen der Analysten nicht erfüllt, rutscht der Wert unserer Aktie in den Keller, und das, obwohl unsere Firma fantastische Ergebnisse generiert und traumhafte Zukunftsaussichten beschert. Oder wenn die Hochzeitsreisen an die Niagara Fälle im letzten Quartal die Analystenerwartungen enttäuschen, ist der Absturz der New Yorker und der Schweizer Börse nicht mehr zu bremsen und die Aktienkurse fallen ins Bodenlose!

Und das ist nur ein Teil des Problems für den Unternehmer. Da ich keine Schulden habe und meine Aktien deshalb nicht irgendwo als Sicherheit dienen, schadet es mir nicht gross, wenn der Wert meiner Aktien während ein paar Tagen, oder sogar viel länger, tiefer ist, so lange es meiner Firma glänzend geht und unsere Wachstumsaussichten grossartig sind. Wir haben aber auch viele andere kleine Aktionäre, die darunter leiden. Hinzu kommen unsere Pensionskassen und alle Werte, die hier auf der Börse basieren – ich spreche hier von zig Milliardenwerten für Millionen von Schweizern, inklusive AHV! – sie alle werden damit in Mitleidenschaft gezogen! Das hat einen direkten Einfluss auf jeden von uns.

Eine mögliche Lösung, so schlug es mir ein Bankier vor, sei die «Road Show». Ich sollte also, statt meine Firma zu führen, in die verschiedenen Börsenzentren in London, Stockholm, New York, Tombuktu reisen und die Leute davon überzeugen, dass meine Aktien noch mehr Geld wert sind. Meine Antwort, ich verkaufe Uhren und keine Aktien, hat ihn derart schockiert und skandalisiert, dass er mich sprachlos ansah, als ob ich nicht mehr bei Verstand sei…

Der Unternehmer muss seine Firma im langfristigen Interesse der Firma und mit der richtigen Strategie führen, und nicht hauptsächlich, um den Börsenteilnehmern kurzfristig zu gefallen. Der Börsenkurs ist für mich keinesfalls ein zuverlässiger Massstab unserer Leistung oder des Wertes unserer Firma, wie einige leider blinde Journalisten dies gerne glauben möchten.

Hinzu kommt, dass eine gewisse dienstbeflissene, unwissende Presse in Ermangelung echter Kenntnisse und anderer zuverlässiger Massstäbe jeder Analystenaussage breite Glaubwürdigkeit verschafft. Die Analysten und ihre Erwartungen werden zum heiligen A und O für viele Wirtschafts- und Börsenjournalisten.

Hier sollte eine kluge, starke und neutrale Kontrollstelle die Analysten-Aussagen und -Empfehlungen in regelmässigen Abständen auf ihre Genauigkeit überprüfen. Damit könnten einesteils die Investoren besser vor oberflächlichen Empfehlungen geschützt werden, Investoren, die sich, wie mir einige ihrer Briefe beweisen, betrogen fühlen. Anderseits würde es auch dazu dienen, dass Werte, die durch die Industrie geschaffen werden, nicht so ohne Weiteres durch Unwissen, Interessenkonflikte, durch Verallgemeinerung und Vermischung mit Aspekten aus anderen Gebieten der Erde vernichtet werden.

Vergessen wir nicht, dass die kleine Schweiz mit ihren 7.5 Millionen Einwohnern eine Wirtschaftsgrossmacht ist und – auch wenn Sie hier vielleicht nicht alle daran glauben – eine grosse moralische Macht darstellt. Die Schweiz wird im Ausland mehrheitlich als das Land betrachtet, das die einzig wirklich echte direkte Demokratie besitzt. Ich habe es vorhin bereits erwähnt, die EU als grosse Demokratie mit Vorbildcharakter, hat die Völker in Europa nicht gefragt, ob zehn neue Mitglieder aufgenommen werden sollen – die EU Politiker haben sie einfach aufgenommen. So etwas ist in der Schweiz nicht möglich. Ganz ohne Rücksicht auf den Zynismus einiger Kritiker behaupte ich, die Schweiz ist die vollkommenste aller Demokratien, in der das Volk mit einem echten Mitspracherecht ausgestattet ist und dessen Wille respektiert wird.

Zudem wird die Schweiz in allen grossen Ländern der Welt, speziell in den sogenannt neuen Industrieländern China, Indien, den Arabischen Ländern, in Südamerika und Afrika, aber auch in Europa und den USA, als die Nation empfunden, die nie Kolonien gehabt hat. Sogar die kleinsten Länder Europas, wie zum Beispiel Belgien, Holland oder Portugal haben Kolonien besessen. Nicht aber die Schweiz! Sie beweist damit schon früh Respekt für die Integrität anderer Völker und hat keine territoriale Gier.

Die Schweiz ist auch das Land des Roten Kreuzes von Henri Dunant, dem Initiator für ein humanitäres, innovatives, starkes Gedankengut, das für die Völker dieser Erde unwahrscheinlich wichtig ist. Der Schweizer hat ein Gefühl für Schönheit und Ästhetik – er gestaltet sich ein schönes Umfeld. Und schliesslich hat er eine grosse Affinität zum Umweltschutz – wir sind gemäss allen Studien das Land, das den grössten Respekt für die Umwelt zeigt. Die Schweiz hat in Prozenten der Bevölkerung mehr internationale Unternehmen kreiert als alle anderen Länder diese Erde. In der Forschung und der Innovationskraft gehört die Schweiz weltweit zu den Spitzennationen, dank ihrer Hochschulen, Forschungsanstalten und ihrer Industrie.

Der Schweizer ist qualitätsbewusst, er hält mehrheitlich Wort, und… unsere Bahnen sind pünktlich, zumindest meistens. Weitere Eigenschaften wie z.B. der Sinn für Gerechtigkeit, die Neutralität oder Stabilität und Solidität werden uns ebenfalls zugeschrieben und im Ausland positiv wahrgenommen. Ich will die Bescheidenheit meiner Zuhörer nicht überstrapazieren und verzichte deshalb auf die weitere Aufzählung der positiven Aspekte. Zweifellos haben wir auch Fehler, und ich könnte auch negative Aspekte aufzählen, aber die mir zugestandene Redezeit erlaubt dies «Gott sei dank» heute nicht.

Mit all den positiven Eigenschaften sind Schweizer Unternehmer – und das spüren wir jedes Mal, wenn wir im Ausland sind – ein Vorbild.

Bei der Globalisierung handelt es sich um den weltweiten Austausch von Arbeit, Kapital, Gütern, Technologien, Ideen, Philosophien, Umwelt- und Völkerrechtsvorstellungen. Das heisst, der Schweizer Unternehmer muss hier eine Leadership-Rolle übernehmen, und, ausgehend von der unbedingt notwendigen Reform der Finanzwirtschaft in der Schweiz, dies weltweit lancieren.

Wir brauchen eine wirksame Reform der Börse und des globalen Finanzsystems, mit paritätischer Kontrolle unter starkem Einbezug der Unternehmer und der Industrie. Gründen wir die Internationale des Unternehmers und lassen wir uns nicht mehr unterdrücken! 
Wir können es uns nicht leisten, wie im letzten Jahrhundert acht schwere Finanzwirtschaftskrisen zu erdulden! Die erste dieses neuen Jahrhunderts haben wir schon, und die ist nicht von schlechten Eltern!

Nun, liebe Unternehmerinnen und Unternehmer hier im Saal – durch meine täglichen, zahlreichen Begegnungen und Gespräche in der Schweiz und im Ausland weiss ich, dass eine grosse Anzahl Menschen in dieser gefährlichen Situation von der Schweiz ein befreiendes Signal erwartet. Trotz der massiven Subprime-Krise haben wir immer noch eine absolut intakte Schweiz, mit einer intakten Realwirtschaft, mit fleissigen Menschen, guten Unternehmern und Firmen – Nestlé, ABB, Swatch Group, Holcim, Fischer, Logitec oder Novartis und Roche und viele andere sind da! – wir haben eine der best geführten Nationalbanken der Welt, und wir verfügen an der Schweizer Börse in Zürich über ein exzellentes Präsidium, das die wichtige positive Funktion der Börse sieht und diese Probleme trotzdem offen und vernünftig betrachten kann.

Geben wir ihnen die Mittel, die notwendigen Reformen mit uns energisch durchzuführen! Wir sind alle da mit starken aktionsfähigen Repräsentanten, Unternehmern.

Die economiesuisse, mit ihrem effizienten Direktorium unter der echt schweizerischen und unternehmerischen Führung Gerold Bührers, beweist klaren, dynamischen und kämpferischen Geist. Sie verfügt über viele starke Mitglieder, allen voran die Swissmem, die FH, Verbände aus der Chemie und dem Nahrungsmittelbereich und viele andere. Mit uns sind aber auch seriöse Journalisten und Analysten, Ingenieure, Professoren, Beamte, Bankiers, Anwälte, Politiker. Sie alle zählen erfahrungsgemäss zu den Besten ihres Fachs.

Geben wir alle zusammen dieses Befreiungssignal für die Reformen – erst in der Schweiz, und dann wird sich das Signal mit unser aller Einsatz wie ein Lauffeuer über die ganze Welt verbreiten! 
Zeigen wir der Welt, welche Leadership, welch starker Selbstreinigungswille, welche Fähigkeiten in uns stecken! Der Souverän, unser Schweizer Volk, wird uns dabei unterstützen, davon bin ich überzeugt!

Die Schweiz soll ihre Funktion in dieser Welt wieder wahrnehmen! Sie alle können dazu kräftig beitragen – und selbstverständlich werde ich auch ein wenig mithelfen. Das ist mein Appell an Sie alle.

Ich wünsche uns allen dabei viel Glück und Erfolg!